Mit freundlicher Unterstützung von Tim Yilmaz und dem Mariposa Boxing Club

Oleksandr Usyk bei BoxRec | Oleksandr Usyk Homepage

London, März 2020. Es ist die Pressekonferenz für einen weiteren spannenden Schwergewichts Clash. Die Manager, Promoter und Kämpfer sitzen wie immer oben auf der Bühne um Fragen der Journalisten nach bestem Gewissen zu beantworten. Einer aus der illustren Runde sticht besonders heraus. Er hat einen Hut auf und stets ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Alles in allem wirkt er, als hätte er nicht wirklich Lust auf diese Presseveranstaltung, sondern würde lieber gleich zum Faustkampf übergehen. Im Verhältnis zu dem, was er als Boxer geleistet hat wirkt er schon fast unscheinbar. Die Rede ist von Oleksandr Usyk. Einem der erfolgreichsten Amateurboxer in der ukrainischen Geschichte, Weltmeistertitel und einen Olympiasieg mit inbegriffen. Und einem der erfolgreichsten Cruisergewichtler aller Zeiten im Profi Zirkus. Letztes Jahr hat sich der Ukrainer entschieden, eine Gewichtsklasse nach oben zu gehen, in das im Rampenlicht stehende Schwergewicht. Er will die ganze Großen herausfordern und Titel gewinnen. Die spannende Frage an dieser Stelle lautet: Kann der technisch versierte Ukrainer wirklich gegen die Elite der Königsklasse bestehen? Wie gut ist der jetzt schon legendäre Usyk wirklich?

RUHM UND EHRE

Die olympische Goldmedaille ist immernoch mein größter Erfolg. Ich habe viele Gürtel, aber ich habe nur einmal Gold.*

Oleksandr Oleksandrovych Usyk wird am 17. Januar 1987 in Simferopol geboren. Der Ukrainer ist zunächst fußballbegeistert und wechselt erst im Alter von 15 Jahren zum Boxsport. Schon im vierten Jahr seiner Boxkarriere holt er Bronze bei den Europameisterschaften, allerdings noch im Mittelgewicht. Schon zwei Jahre später reicht es zu Gold im Halbschwergewicht, allerdings geht er bei den olympischen Sommerspielen in Peking leer aus und verliert gegen Clemente Russo im Viertelfinale. Gegen denselben Clemente Russo zieht dann auch ein gewisser Deontay Wilder im darauffolgenden Halbfinale den Kürzeren. Die Niederlage steckt Usyk allerdings in beeindruckender Manier weg und holt sich 2011 den Weltmeistertitel im Schwergewicht und gewinnt ein Jahr später auch die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in London. Im Finale revanchiert er sich bei Russo für die Niederlage vier Jahre zuvor. Nebenbei erkämpft er sich in der World Series of Boxing eine lupenreine Bilanz von sechs Siegen und demontiert unter anderem den heutigen Schwergewichts Prospekt Joe Joyce. Usyk, dessen Spitzname die Katze ist, verlässt die Amateure mit der unglaublichen Bilanz von 335-15.

* Alle Zitate zu Beginn eines jeden Abschnitts sind von Oleksandr Usyk

Usyk gewinnt Gold in London 2012

SPEEDY GONZALEZ

Es ist mir egal wo ich kämpfe.

Usyk wird im Alter von 26 Jahren Profi im Cruisergewicht und rollt das Feld auf, wie kaum ein anderer Boxer vor ihm. Bereits in seinem zehnten Kampf stellt sich die Katze einem amtierenden Weltmeister, dem in 26 Kämpfen ungeschlagenen Polen Glowacki. Für den ein Jahr älteren Mann aus Walcz, ist es bereits die dritte Titelverteidigung seines WBO-Titels. Doch Oleksandr Usyk ist eine Nummer zu groß für seinen polnischen Kontrahenten. Unglaubliche Beinarbeit, schnelle Führhände die rausfliegen als gäbe es kein Morgen und ein Verständnis von Distanz das seinesgleichen sucht, das alles ist zuviel für Glowacki. Usyk entführt den WBO-Weltmeistertitel vor gegnerischer Kulisse, er gewinnt klar nach Punkten. Der aufstrebende Ukrainer ist damit am 17. September 2016 das erste Mal Weltmeister bei den Profis. Doch ein Titel ist für den tänzerisch begabten Usyk natürlich noch lange nicht genug.  In seinem elften Profikampf und gleichzeitig seinem Debüt in Amerika dominiert Usyk den Südafrikaner Thabiso Mchunu. Der Kampf wird nach dem dritten Knockdown in Runde neun abgebrochen. Bereits zu diesem Zeitpunkt schickt der Ukrainer die ersten Kampfansagen an den Schwergewichts Krösus Anthony Joshua. Beide Männer haben in London 2012 Gold gewonnen, ein Duell wäre ein Traum für alle Boxfans.

Doch vorher hat der 1,90 Meter große Ukrainer noch einiges im Cruisergewicht vor. Und als nächstes wartet mit Michael Hunter auch ein extrem starker Kontrahent auf Usyk. Der Amerikaner und ehemalige Olympiateilnehmer hat als Profi zu diesem Zeitpunkt eine lupenreine Bilanz von zwölf Siegen in zwölf Gefechten, die Spannung liegt beim Kampf in Oxon Hill in der Luft. Trotz starkem Beginn von Hunter hat Usyk das Geschehen mit jeder Runde mehr im Griff und gewinnt am Ende deutlich nach Punkten. Schon vor diesem Kampf hat er sich von seinem langjährigen Trainer James Ali Bashir getrennt und arbeitet mit Anatoly Lomachenko zusammen. Der Ukrainer mit dem einzigartigen Humor will es jetzt endgültig wissen. Er will die anderen Weltmeister boxen und die Titel im Cruisergewicht vereinigen. Und da wird plötzlich die Muhammad Ali Trophy oder auch World Boxing Super Series genannt ins Leben gerufen.

Die besten acht Cruisergewichtler der Welt kämpfen in einem Turnier im K.O System um alles. Der Sieger ist unumstrittener Weltmeister im Cruisergewicht, heißt auf gut Deutsch: Drei Kämpfe auf dem Weg zu großem Ruhm und Ehre. Als seinen ersten Gegner wählt Usyk den Deutschen Marco Huck aus. Der ehemalige Weltmeister aus Berlin scheint die leichteste Aufgabe für den leichtfüßigen Ukrainer. Am 9. September 2017 treffen die beiden in in der Max-Schmeling-Halle in Berlin aufeinander und Usyk demontiert den Deutschen vor eigenem Publikum. Huck zeigt Kämpferherz, doch aufgrund klarer Dominanz und boxerischer Überlegenheit von Seiten Usyks bricht der Ringrichter den Kampf in der zehnten Runde ab. Wie immer versetzen Usyks Geschwindigkeit und seine katzenartigen Bewegungen das Publikum ins Staunen.

Quelle (ebenso Titelbild): wikimedia.org – Andriy Makukha

LEGENDENSTATUS

Ich bin kein Monster, ich bin ein weißer Hase.

Was dann folgt ist Usyks härtester Kampf seiner bisherigen Profikarriere. Gegen den Letten Mairis Briedis, in 23 Gefechten ungeschlagen, muss der Ukrainer über die volle Distanz. Die beiden schenken sich wirklich gar nichts, doch am Ende sehen die Punktrichter ihn knapp vorne und der überglückliche Mann aus Simferopol zieht ins Finale der Super Series ein. Durch seinen Sieg gegen Briedis schnappt er sich nebenbei auch den WBC-Gürtel. Allerdings nur eine Randnotiz, denn im darauffolgenden Finale steht erneut alles auf dem Spiel. Usyk will mit einem Sieg der erste unumstrittene Boxweltmeister aller vier Verbände aus der Ukraine werden. Der Rechtsausleger zieht sich für eine intensive Vorbereitung ins Olympic Village in Kiew zurück und zeigt im Finale die vielleicht beste Performance seiner Profikarriere. Wieder im Heimatland seines Gegners, besiegt Usyk den ungeschlagenen Russen Murat Gassiev ganz klar nach Punkten. Er ist am Gipfel im Cruisergewicht angekommen, als unumstrittener König. Dazu kommt, dass er all seine Gegner während des Turniers in ihrem Heimatland geschlagen hat. Zu diesem Zeitpunkt ist er erst der vierte Boxer überhaupt, der alle vier Weltmeistergürtel in einer Division vereinigt. Usyk wir so geschätzt, dass sogar eine Rückkehr der Boxlegende Andre Ward diskutiert wird, doch der Kampf zwischen den beiden findet nie statt.

Seine erste Titelverteidigung bestreitet der unumstrittene Champion dann gegen den Engländer Tony Bellew in Manchester. Am 10. November 2018 knockt er den Mann aus Liverpool mit einer knallharten Links-rechts-Kombination aus. Der Kampf ist zuvor überraschend eng, auf den Punktzetteln liegt der Ukrainer zum Zeitpunkt des Knockouts sogar knapp hinter Bellew. Nach diesem Sieg wird er vom hoch angesehen Sportsender ESPN zum Fighter des Jahres gewählt.

Usyk gewinnt Muhammad Ali Trophy

DER STEIN IM WEG

Meine Mutter sagte mir ich soll Englisch lernen. Ich sagte: Ich werde Cowboy also soll ich Englisch mit meinem Pferd sprechen? Sie sagte: Du musst es trotzdem lernen, mein Schatz. Ich habe nicht auf sie gehört.

Nach diesem Kampf trifft Usyk eine gut durchdachte Entscheidung, er wechselt ins Schwergewicht. In seinem Debüt besiegt der Mann, der über 1,98 Meter Reichweite verfügt, den Amerikaner Chazz Witherspoon locker nach Aufgabe seines Kontrahenten in Runde sieben. Der Kampf ist ein Aufgalopp und keine wirkliche Prüfung für den ehemaligen Super Champion im Cruisergewicht.  Der Ukrainer hat schon während seiner Amateurzeit viel mit schwereren Boxern im Ring gestanden, es ist immer ein Traum von ihm gewesen bei den ganz schweren Jungs mit zu boxen. Doch Ist er dafür gut genug? Evander Holyfield und David Haye sind prominente Beispiele, die es als Weltmeister im Cruisergewicht auch im Schwergewicht zu Titel Ehren gebracht haben. Auf den ersten Blick ist der Ukrainer keineswegs schlechter als die beiden einzuschätzen. Und anders als beispielsweise Haye lässt sich die Katze auch noch mehr Zeit mit dem Titelkampf. Denn in seinem nächsten Gefecht wartet zwar noch kein Weltmeister auf Usyk, aber ganz bestimmt kein Unbekannter.

Wenn es eine Liste von Skandalboxern geben würde, wäre der nächste Gegner des Ukrainers sicher in den Top zehn vertreten. Er ist zwar kein Mike Tyson, aber er gibt sich alle Mühe wie einer zu wirken. Sein Kampfname lautet nicht umsonst Krieg, den er hat schon in einigen harten Gefechten im Ring gestanden: Dereck Chisora.  Der Brite mit afrikanischen Wurzeln hat zuletzt drei Siege in Folge eingefahren und will es nochmal wissen. Seit kurzem wird der 36-jährige von seinem Landsmann David Haye gemanagt und trainiert. Aus seinem Camp heißt es er trainiere so diszipliniert wie lange nicht mehr, dazu gibt sich der ehemalige WBA-Weltmeister Hye größte Mühe seinen Schützling groß zu reden. Allerdings hat Chisora bereits neun Niederlagen auf seinem Profikonto. Außer in Sachen Erfahrung im Schwergewicht und Schlagkraft sollte Usyk in allen Kategorien überlegen sein. Der Ukrainer geht als klarer Favorit in das Gefecht gegen Chisora*, er hat schon mittelfristig ganz andere Gegner im Blick als den Engländer: Er will die Landsmänner Chisoras und Weltmeister Tyson Fury und Antony Joshua vor die Fäuste bekommen.

*Der für Mai geplante Kampf wird wegen dem Coronavirus verschoben

Quelle: matchroom boxing

I AM VERY FEEL

Viele Menschen glauben nicht an mich, sie glauben ich bin zu klein für ein Schwergewicht. Genauso wie sie früher gesagt haben, ich solle nicht boxen. Dann sage ich mir selber immer wieder: Ich kann es schaffen.

Einst hat Usyk mit einem gewissen Wladimir Klitschko öffentlich gesparrt. Der Mann aus Simferopol wird nach einer Runde nach Hause geschickt, er hat den Champion zu schlecht aussehen lassen.  Schon in der World Series of Boxing hat er mit Schwergewichten im Ring gestanden und auch mit deutlich mehr Kilos auf den Rippen überragend geboxt. Usyk sparrt seit Jahren mit schwereren Boxern, es ist für ihn kein komplettes Neuland. Sind dies alles Indikatoren die für einen Erfolg des Ukrainers in der Königsklasse sprechen?

Für Usyk ist die wichtigste Eigenschaft eines Boxers die Disziplin. Sie hat ihn weit im Leben gebracht. Er steht ganz kurz vor Titelkampf im Schwergewicht Doch ist er wirklich gut genug um die Weltmeister zu gefährden? Werden sein genialer Ring-IQ und seine überragende Beweglichkeit dem Ukrainer auch in der höheren Gewichtsklasse Siege einbringen? Ist er stabil genug um Treffer von deutlich schwereren Gegnern einfach wegzustecken? Hat er selber genug Power um Boxer wie Fury oder Joshua anzuklingeln?

Nahezu unendliche Fragen hat Oleksandr Usyk in seiner Boxkarriere schon beantwortet. Sollte er die oberen auch noch mit Ja beantworten wird er als einer der ganz Großen in die Geschichte eingehen.

TOE TO TOE Oleksandr Usyk

ROMAN HORSCHIG

Roman Horschig arbeitet mit absoluter Leidenschaft als Sportkommentator, Stadionsprecher und Moderator in ganz Deutschland. Mit seinem großen Enthusiasmus für den Sport macht er auch Ihr Event zu einem absoluten Erlebnis. Versprochen.

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